Warum fordern Politiker, dass die Wirtschaft wachsen muss?
Die Forderung nach mehr Wirtschaftswachstum ist quer durch die politischen Parteien das zentrale Thema dieses Bundestagswahlkampfes. Uns geht es, so die Aussage von Politikern und vielen Wirtschaftsexperten, nur gut, wenn die Wirtschaft wieder wächst – eine stagnierende Wirtschaft bedeutet nach deren Auffassung das Ende des Wohlstands!
Abbildung: Weltweite Entwicklung des Brutto-Nationalproduktes (aus: Wikipedia, lizensiert durch CC BY-SA 3.0)
Die Frage ist, wieso eigentlich die Wirtschaft in einem kapitalistischen System wie dem unseren stets wachsen muss, um uns Bürgerinnen und Bürgern ein gutes Leben zu ermöglichen. Zur Wirtschaftsleistung gehören die Waren und die Dienstleistungen, die ein Land erbringt. In Bezug auf die Waren gilt: Sehr viele Dinge, die wir konsumieren, brauchen wir gar nicht, und die ständig steigende Produktion betreibt – jedenfalls in einigen Bereichen – Raubbau an unseren Ressourcen, verpestet die Umwelt und liefert uns einem praktisch nicht mehr zu bremsenden Wandel des Klimas aus, wir zerstören also unsere eigenen Lebensgrundlagen. Warum also wird Wachstum auch in diesen Bereichen als unabdingbar angesehen, obwohl die schwerwiegenden Nebenwirkungen offensichtlich sind? Warum verzichten wir dort nicht einfach auf Wachstum? Hier kommt der stark vereinfachte Versuch einer Erklärung (Quelle: siehe unten).
Betrachten wir das Beispiel der Gründer eines Startups, die sich fragen: Was können wir herstellen und verkaufen, um damit Geld zu verdienen? Das müssen keine sinnvollen Dinge sein, entscheidend ist nur, dass es Leute gibt, die das Produzierte kaufen wollen. Nehmen wir also an, dass das Startup beschließt, Feuerwerkskörper herzustellen. Die braucht niemand wirklich, sie sind gefährlich, machen krank, verschmutzen die Umwelt – aber aus irgendeinem Grund wollen die Leute sie kaufen.
Solange es weit und breit nur unser Startup gibt, ist alles in Ordnung: Die Firma kauft Rohstoffe, beschäftigt Chemiker, die Sprengladungen zusammenstellen, produziert die Böller und setzt die Verkaufspreise so an, dass es den Leuten nicht zu teuer wird, aber ein gewisser Überschuss drin ist, von dem die Firmenchefs leben. Nun aber gründet irgendjemand ein Konkurrenzunternehmen, stellt also ebenfalls Feuerwerkskörper her und möchte sie verkaufen. Das ist im Kapitalismus gewollt: Man will, dass es einen Wettbewerb zwischen Konkurrenten gibt, die alle möglichst viel Geld verdienen wollen, und geht davon aus, dass dieser Wettbewerb das Produkt „besser“ macht.
Welche Möglichkeiten hat unser Startup nun, um sich gegen den Konkurrenten durchzusetzen, also dafür zu sorgen, dass die Leute nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich die Produkte der anderen Firma kaufen? Dafür gibt es Strategien – hier folgen zwei wichtige:
Erstens: Billiger sein
Das Startup bietet seine Feuerwerkskörper billiger an als die Konkurrenz. Dazu muss es seine Produktionskosten senken. Das kann es zum Beispiel tun, indem es Rohstoffe in größeren Mengen einkauft (dann gibt es Mengenrabatt) oder die Fertigungsmaschinen besser auslastet. In jedem Fall aber ist die Folge eine Steigerung der Produktion: die Firma wächst. Und wahrscheinlich senkt der Konkurrent dann auch die Preise und wächst …
Zweitens: Innovativer sein
Das Startup verändert sein Produkt und stattet es mit Eigenschaften aus, von denen es glaubt, dass die Kunden sie attraktiv finden: mehr Farben, lauterer Knall, schönere Verpackung. Falls die Kunden das neue Produkt tatsächlich toll finden, führt dies zu einer größeren Nachfrage, weil alle Leute nun genau diese Feuerwerkskörper haben möchten. Diese Nachfrage muss befriedigt werden, denn was nützt ein innovatives Produkt, das man nirgends kaufen kann? Und die Firma wächst…
Die Tatsache, dass es einen Wettbewerb zwischen Konkurrenten gibt, den keiner von ihnen verlieren will, führt also zwangsläufig zu Wachstum. Würde unser Startup sagen: Wir machen das nicht mit, wir wollen nicht wachsen, dann würde es sofort vom Markt verschwinden, weil andere Firmen billiger und/oder innovativer wären. Die Firmengründer sind also zum Wachstum quasi verurteilt, sie können nicht selbst bestimmen, ob sie wachsen wollen oder nicht.
Wir müssten also darüber nachdenken, ob wir ein anderes Wirtschaftssystem bräuchten, das nicht auf Wettbewerb beruht. Oder wir müssten herausfinden, ob es „grünes Wachstum“ geben könnte, bei dem also in nachhaltiger Weise Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt wären. Beides ist schwierig und in der Wissenschaft umstritten. Was aber ganz klar ist: Ein unbegrenztes Wachstum der Art, wie wir es im Moment in einigen produzierenden Bereichen praktizieren, kann es auf einem begrenzten Planeten nicht geben. Das ist schon seit dem Bericht „Grenzen des Wachstums“ für den Club of Rome seit fünfzig Jahren bekannt, aber diese Tatsache wird konsequent ignoriert.
Text: Gert Braune
Der Beitrag verwendet Informationen der folgenden Internetseite, die das Thema vertieft darstellt: https://www.quarks.de/gesellschaft/muss-die-wirtschaft-wirklich-immer-wachsen/ .